Mein Katamon - Wie israelische Fans einen Verein grndeten 11FREUNDE

December 2024 · 8 minute read

Es gibt schö­nere Fuß­ball­plätze als dieses kno­chen­tro­ckene Grün in Tel Sheva, einem Bedui­nen­städt­chen am Rande der Wüste Negev. Wirt­lich­keit ist etwas anderes als dieser ein­ge­zäunte Acker inmitten einer Unmenge Sand. Es ist die Heimat von Hapoel Tel Sheva, dem füh­renden Klub der Stadt, der sich tapfer in der Fünft­klas­sig­keit behauptet. Schwer fällt das nicht, denn ein Abstieg ist unmög­lich. Tiefer geht es nicht, Tel Sheva befindet sich am unteren Ende der israe­li­schen Fuß­ball­leiter.

Für den heu­tigen Gegner ist dies Ende aller­dings der Anfang, denn es steht das erste Pflicht­spiel in der Ver­eins­ge­schichte von Hapoel Katamon an. Einem Verein, dessen Schicksal in den Händen seiner Fans liegt. Im Falle Kata­mons ist dies aus­nahms­weise keine patho­st­rie­fende Floskel aus dem Munde irgend­eines Fuß­ball­va­ga­bunden. Katamon gehört tat­säch­lich seinen Fans, sie haben den Klub gegründet, sie besitzen und ver­walten ihn. Und darauf sind sie ziem­lich stolz. 

Wirt­lich­keit ist etwas anderes als dieser ein­ge­zäunte Acker

Die Katamon-Anhänger kennen sich schon lange, aus Zeiten, als sie noch gemeinsam einem anderen Klub unter­stützten – Hapoel Jeru­salem. Ein Klub, der nie son­der­lich erfolg­reich war und ledig­lich den 1973 gewon­nenen Lan­des­pokal im Tro­phä­en­schrank unter­bringen muss. Unbe­deu­tend ist Hapoel Jeru­salem trotzdem nicht, denn er bil­dete lange Zeit das welt­an­schau­liche Gegen­ge­wicht zum weitaus erfolg­rei­cheren Orts­ri­valen Beitar, der als Verein der Natio­na­listen gilt. Ara­bi­sche Spieler werden dort prin­zi­piell nicht ver­pflichtet. Im immens reli­giösen Jeru­salem war Hapoel („Arbeiter“) hin­gegen stets der Klub der Welt­of­fenen und Links­in­tel­lek­tu­ellen, der­je­nigen, die eine fried­liche Koexis­tenz von Juden und Ara­bern anstreben. Ent­spre­chend auf­ge­laden waren die Derbys zwi­schen den Anti­poden und das Spie­gel­bild inner­is­rae­li­scher Kon­flikte. Doch ledig­lich der Name ver­bindet Hapoel Jeru­salem noch mit dem Verein, der einst zu solch hit­zigen Derbys antrat. Die stolze Geschichte wich einer tristen Gegen­wart, die Zuschau­er­zahlen sind mau. Nur einige Hun­dert Anhänger lassen sich noch im schi­cken Teddy-Kollek-Sta­dion bli­cken. 

Ein Nie­der­gang, der mit der Über­nahme des Ver­eins durch Yossi Sassi und Victor Yona – gerne als »Sas­si­yona« ver­spottet – Anfang der Neun­ziger begann. Mit der Füh­rung eines Fuß­ball­klubs zeigten sie sich über­for­dert, brauch­bare Spieler wurden unter Wert ver­scher­belt, untaug­liche Kicker geholt. Schulden wurden ange­häuft und die chro­ni­schen per­sön­li­chen Aus­ein­an­der­set­zungen der Eigner zum längst nicht mehr lus­tigen Run­ning Gag. Der Klub ging den Bach runter und bestieg den Fahr­stuhl zwi­schen den Ligen. 2007 stieg Hapoel in die dritte Liga ab und die Fans hatten end­gültig genug von der Dilet­tanz der Besitzer.

Ein Nie­der­gang mit »Sas­si­yona«

Für den Jour­na­listen und Hapoel-Fan Uri She­ratzky war diese Situa­tion der Anstoss, eine Fan-Initia­tive ins Leben zu rufen. Seine simple Idee: Geld sam­meln, um Hapoel zu kaufen und als basis­de­mo­kra­ti­schen Verein im Sinne der Fans zu führen. In Form von Aktien zum Stück­preis von 1000 Schekel wollte She­ratzky eine Mil­lion Schekel (rund 170.000 Euro) zusam­men­tragen, um den rui­nierten Verein zu erwerben. Die Idee stieß auf Begeis­te­rung, rund 700 Aktio­näre fanden sich, den Rest steu­erte die lokale Wirt­schaft bei. Doch Sassi und Yona, die ihren stän­digen Kon­flikt so oft lei­den­schaft­lich medial und juris­tisch aus­trugen, zeigten unge­ahnte Einig­keit: Sie wollten Hapoel nicht ver­kaufen.

Plan B musste her. She­ratzky ging auf den Verein Hapoel Mev­as­seret Zion/​Abu Ghosh zu. Ein sehr beson­derer Verein, gegründet von Alon Liel, einst Bot­schafter Israels in Süd­afrika. Als sol­cher in Diplo­matie geübt, plante er 2004 ein kühnes Pro­jekt: die Fusion eines ara­bi­schen und eines jüdi­schen Klubs. Mit den Teams der Jeru­sa­lemer Vor­orte Mev­as­seret Zion (jüdisch) und Abu Ghosh (ara­bisch) setzte er seine Vision um und gleich­zeitig ein (sport-)politisches Aus­ru­fe­zei­chen. Trotz anfäng­li­cher Miss­töne fand der neue Klub Rück­halt und Akzep­tanz in der Gesell­schaft, nicht zuletzt wegen Liels diplo­ma­ti­schen Geschicks. In diesem, eher poli­tisch denn sport­lich ambi­tio­niertem Verein sah She­ratzky einen pas­senden Partner und stieß ob der her­vor­ra­genden Kon­stel­la­tion – Geld sucht Klub – auf offene Ohren.

Der »Do-it-yourself-Klub«

Mit dem gesam­melten Geld stiegen die hei­mat­losen Fans bei Mev­as­seret Zion/​Abu Ghosh ein, tilgten dessen Schulden und fügten dem ohnehin schon sper­rigen Ver­eins­namen ein »Katamon« hinzu. Ein Remi­nis­zenz an die Geschichte Hapoel Jeru­sa­lems, dessen Wur­zeln im Statt­teil Katamon liegen. Um den über­langen Ver­eins­namen zu umgehen, sprach schnell jeder nur noch von Hapoel Katamon. Ein Klub mit weit­rei­chendem Mit­spra­che­recht der Fans und vor allem ein Klub, der fried­li­ches Zusam­men­leben von Juden und Ara­bern demons­trieren soll. Der Zulauf war enorm, 3.000 Fans erschienen zum ersten Spiel des Viert­li­gisten. Ver­bunden im opti­mis­ti­schen Idea­lismus, den man von anderen »Do-it-yourself-Teams«, jenen aus Wim­bledon, Man­chester oder Salz­burg, kennt. Eine Kulisse, deren Größe so man­cher Erst­li­gist neidet und Katamon dazu zwang, schon nach wenigen Wochen ins Teddy-Kollek-Sta­dion umzu­ziehen. Der Sport­platz in Mev­as­seret erwies sich schlicht als zu klein. Als »das wahre Hapoel Jeru­salem« bezeich­nete She­ratzky des­halb das so erfolg­reich gestar­tete Pro­jekt. Ange­sichts der mageren Zuschau­er­zahlen bei Sas­si­yonas“ Klub nicht ganz zu Unrecht. 

Katamon wurde zum Lieb­ling der Medien und zog welt­weit wohl­wol­lende Bericht­erstat­tung auf sich. Eine Fan-Auto­nomie im sonst von so vielen ebenso pro­fil­neu­ro­ti­schen, wie stein­rei­chen Ver­eins­be­sit­zern gelenkten israe­li­schen Fuß­ball – das wusste zu begeis­tern. Auf zwei Jahre wurde das Pro­jekt ange­legt, mit der Option auf Ver­län­ge­rung. So sich denn sport­li­cher Erfolg ein­stellt. Doch beide Male wurde der Auf­stieg ver­geigt und in Mev­as­seret wuchs der Unmut. Der über­bor­dende Katamon-Hype ließ die eigene Idee eines jüdisch-arba­bi­schen Teams in Ver­ges­sen­heit geraten. Sie wollten wieder nach Mev­as­seret zurück und im Kleinen wei­ter­wer­keln. Im Sommer 2009 trennten sich des­halb die Wege der Fusi­ons­partner und die eins­tigen Fans von Hapoel Jeru­salem standen wieder dort, wo sie sich bereits zwei Jahre zuvor befanden. Die­je­nigen, die noch nicht von Ethu­siamus ver­lassen waren, ent­schlossen sich dar­aufhin, ganz unten anzu­fangen. Sie grün­deten den Hapoel Katamon FC. Ein kom­plett neuer Verein, ohne die Zwänge, die eine Fusion mit sich bringt. Keine Kom­pro­misse also, aber dafür fünfte Liga. Als das erste Pflicht­spiel nach Tel Sheva ruft, finden sich knapp 50 Unent­wegte. Genug für eine Bus­la­dung.

Ein Deut­scher in der Wüste – die Ultras sind geschmei­chelt

Eine Reise ins Unge­wisse und ich mit­ten­drin. Kata­mons Ultras sind geschmei­chelt, dass ihr Debüt deut­schen Besuch anlockt und zeigen sich von ihrer gast­freund­lichsten Seite. Ich solle nichts erwarten, wird mir geraten und erbärm­li­cher Sport vor­aus­ge­sagt. Viel mehr wissen auch sie nicht. Um nicht gänz­lich unvor­be­reitet zu sein, werden im Bus Zettel mit dem aktu­ellen Kader ver­teilt. Ein lang ersehntes High­light unter­bricht das Stu­dium der Spie­ler­namen – die ersten Fan­ar­tikel gehen rum. Eifrig wird das aktu­elle Trikot erworben. Schön ist es nicht, aber groß der Stolz der Hapoel-Fans, es end­lich in den Händen zu halten. Als der Bus in Tel Sheva ankommt, ist das Gelächter groß. Einen sol­chen Platz sehen auch israe­li­sche Fans nicht oft. Ein biss­chen Grün umgeben von nichts als Sand. Auf der einen Düne die Heim­fans, auf der anderen der, nun ja, Gäs­te­block. Ein Kas­sen­häus­chen gibt es nicht – Ein­tritt frei. Ein rie­siger Zaun umschließt das Spiel­feld. Immerhin ist die Polizei prä­sent, doch nicht, um auf die Fans auf­zu­passen, wird mir erklärt. Sie sollen der Sicher­heit des Schieds­rich­ters gewähr­leisten, ver­hin­dern, dass sich Spieler und Betreuer wegen unlieb­samer Ent­schei­dungen auf ihn stürzen. 

Was mir pro­phe­zeit wurde, tritt ein. Erbärm­li­cher Sport. Fehl­pässe, fal­sche Ein­würfe, schlecht getimte Grät­schen. Slap­stick. Das scho­ckiert selbst die Katamon-Fans, rech­neten sie doch mit einem Kan­ter­sieg und müssen nun mit ansehen, wie schlecht ihr zusammen gewür­feltes Team eigent­lich ist. Ernüch­te­rung kehrt ein. Ihre Laune bes­sert sich erst, als ein ein­hei­mi­sches Kind den Platz auf einem Esel umrundet. Die Groß­städter lachen sich schlapp. Auch für sie ent­puppt sich der Trip als Reise in eine andere Welt, denn Tel Sheva gilt als eine der ärmsten Städte Israels. Der Halb­zeit­pfiff ist der erste Höhe­punkt des Spiels. Von der Wüs­ten­hitze und dem san­digen Wind genervt, zieht der Treck zur nahe­lie­genden Tank­stelle; Eis und Wasser statt Bier und Brat­wurst. Mit der Erkenntnis, dass das Spiel gar nicht weiter ver­fla­chen kann, gehe ich in die zweite Hälfte. Um sich die Zeit zu ver­treiben, löchern mich Katamon-Fans mit Fragen zum deut­schen Fuß­ball. Sie scheinen außer­or­dent­lich gut infor­miert und dis­ku­tieren mit mir über die 50+1‑Regel. Nie hätte ich erwartet, in der israe­li­schen Wüste mit diesem lei­digen Thema kon­fron­tiert zu werden.

Heim­fans auf der Gegen-Tri­Düne

Inständig hoffen sie, dass es Inves­toren in Deutsch­land unmög­lich bleibt, Ver­eine kom­plett zu über­nehmen. Auch wenn ich ent­gegne, dass es per Mäze­na­tentum schon immer mög­lich war, Klubs mehr oder minder will­kür­lich zu führen, kann das ihre Begeis­te­rung für deut­sche Fuß­ball­kultur nicht schmä­lern. Die gesell­schaft­liche Bedeu­tung des Spiels, die präch­tigen Sta­dien und der – im Ver­gleich zu Israel – große Ein­fluss der Fans hier­zu­lande fas­zi­niert sie. Mich hin­gegen fas­zi­niert dieser maue Kick in der Wüste. Vor allem die Begeis­te­rung, mit der dieses hilf­lose Gestol­pere begleitet wird. Ein unge­ahnter Genie­streich ent­scheidet das Spiel. Mit einem Knaller in den Winkel geht Tel Sheva in Füh­rung. Ein Tor, dass man nicht vielen Spie­lern in der Welt zutrauen würde, schon gar nicht einem der 22 Akteure auf diesem Acker.

Auf der gegen­über­lie­genden Düne wird eksta­tisch gehupt. Die Heim­fans schauen das Spiel aus ihren Autos heraus. Zu heiß ist es, um auf die Kli­ma­an­lage ver­zichten zu wollen. Kurz darauf hupt es wieder. Mit einem erfolg­reich abge­schlos­senen Konter macht Tel Sheva den Sack end­gültig zu und ver­setzt Katamon schon im ersten Spiel einen hef­tigen Dämpfer.

Die Fans sind ent­täuscht, aber nicht ent­mu­tigt. Denn den Stolz auf den Verein, der wirk­lich ihrer ist, kann ihnen nie­mand nehmen. 

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWedmravecqaq5qln6N8dISTbWdw